Woche für Woche finden sich mehr oder weniger renommierte Professoren, die in den großen Leitmedien den Politikern und Wirtschaftslobbyisten beispringen und den Euro mit wissenschaftlicher Autorität für „alternativlos“ erklären. Kürzlich meldete sich mit Carl Christian Freiherr von Weizsäcker sogar ein renommierter Ökonom zu Wort, der einst zum „Kronberger Kreis“ der Stiftung Marktwirtschaft gehörte, Vorsitzender der Monopolkommission war und vor zwei Jahren das neue FDP-Grundsatzprogramm mitformulierte. Voriges Jahr sorgte der langjährige Ordinarius für Volkswirtschaftslehre der Uni Köln mit seiner Kritik an der starren Schuldenbremse im Grundgesetz für Furore.
Der vermeintliche Glücksfall der Euro-Krise für Europa
Nun brachte er in der FAZ auf den Punkt, was das Europa-Establishment zwar denkt, aber raffiniert verschweigt: „Welch Glücksfall, daß wir die Euro-Krise haben!“ Einerseits bestätigt dies den aufgeklärten Machiavellismus eines Jean-Claude Juncker, der schon immer der Meinung war, nur mit ihren Krisen komme die EU voran: So wachse die Union zusammen, und jede Krise verschaffe den EU-Organen die Kompetenzen, die sie schon immer haben wollten – aber zu Normalzeiten nie bekommen konnten. Kein Zweifel: Ohne die Euro-Krise wäre die Machtkonzentration bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und das viele Geld für Sonderprogramme (Stichwort Target2) und Euro-Rettungsfonds (EFSF, ESM) niemals zustande gekommen.
Hinzu kommt der romantische deutsche Kyffhäuser-Glaube an eine überstaatliche Ordnungsmacht – vom Heiligen Römischem Reich deutscher jetzt zu dem europäischer Nation. Das erklärt vielleicht einen Teil der Zustimmung bürgerlicher Wähler zu Angela Merkels wohlstandsvernichtender Europapolitik mit ihren offenen Rechtsbrüchen. Doch dem Neffen des Altbundespräsidenten geht es um mehr als eine Erklärung deutscher Polit-Romantik.
Von Weizsäcker versucht zu beweisen, daß die Phrase der „Alternativlosigkeit“ keine Platitüde, sondern alternativlose und wissenschaftlich verbrämte Realpolitik ist: Welches Land auch immer den Austritt wagt, es wird ihn bitter bereuen. Die Euro-Krisenstaaten seien zu wettbewerbsschwach, um mit eigener Währung und aus eigener Kraft ihr Überleben zu sichern. Und die sich ihrer Rettung verweigernden Noch-nicht-Krisenstaaten – vor allem Deutschland – würden schmerzlich entdecken, daß sie die Rückkehr zu nationalen Währungen teuer zu stehen kommt.
Dem „Club Med“ verhelfe die dann mögliche Abwertung nicht zu Vollbeschäftigung und neuem Wohlstand. Der Nord-Euro-Zone drohe hingegen eine „Standort-Krise“: Die Aufwertung eines Nord-Euro oder einer neuen D-Mark zerstöre gnadenlos Wettbewerbsvorteile – sowohl im inner- wie außereuropäischen Geschäft. Es müsse „mit massiven Arbeitsplatzverlagerungen aus Deutschland heraus gerechnet werden. Die Amerikaner und Chinesen werden weiter deutsche Autos kaufen, aber es sind dann nur solche, die in den Vereinigten Staaten und China hergestellt werden“, warnt von Weizsäcker.
Im Klartext: Der Norden der Euro-Zone brauche für seine Exporterfolge nicht nur Leistung, Produktivität und brillante Technik, sondern die starke Mithilfe einer unterbewerteten Währung. Der leistungsschwache Euro-Süden wird demnach gebraucht, um den Euro hinreichend weich zu halten. Für die wissenschaftliche Begründung des Merkelschen „Weiter so“ bemüht Weizsäcker die beiden größten Ökonomen des 20. Jahrhunderts: Milton Friedman und John Maynard Keynes, die sich gegen ihre Einvernahme nicht mehr wehren können.
Den Euro-Krisenländern fehlt es nicht an Nachfrage
Richtig ist, daß Friedman, der die Euro-Geburt noch erlebte, der Gemeinschaftswährung kein langes Leben voraussagte: „Es ist wesentlich leichter, einen Preis, nämlich den Wechselkurs, zu verändern als die Vielzahl jener Preise, die die interne Preisstruktur einer Volkswirtschaft bilden“, warnte der US-Ökonom. Man könne zwischen heterogenen Volkswirtschaften (und Interessen) kein ewiges Wechselkursverhältnis von eins zu eins dekretieren. Inzwischen ist der griechische Euro gegenüber dem deutschen Euro aber um etwa 45 Prozent überbewertet.
Weizsäcker hat daher nicht unrecht, wenn er das Gros der Euro-Kritiker im Lager der „Friedmänner“ vermutet – denn bei realistischen Wechselkursen innerhalb der Euro-Zone hätte es weder die Überschuldung der einen noch die monetären Dumping-Vorteile der anderen gegeben. Doch Weizsäcker bekennt sich zu Keynes und dessen „Überspar“-Hypothese, mit der jener die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre erklärte und die damals von ihm entwickelte staatliche Interventionspflicht der Staaten zur Krisenbekämpfung rechtfertigte – zum Wohle westlicher Demokratie und Marktwirtschaft, die dadurch überlebten. Doch Keynes’ Analyse stimmte damals, für heute gilt sie nicht.
Damals erzeugten ein weltweiter Börsenschock (1929), die Abschaffung des Goldstandards (1931) und ein danach um sich greifender Bilateralismus der internationalen Kapital- und Handelsströme einen in dieser Heftigkeit nicht zu verkraftenden Ausfall an „effektiver Nachfrage“ sowohl auf den Investitions- wie den Konsumgütermärkten sowohl innerhalb wie auch global zwischen den führenden Volkswirtschaften der Welt. Da Investoren auf Schocks rascher und energischer reagieren als Anleger, entstand weltweit ein quasi „natürlicher“ Überhang der Ersparnisse über die Investitionen, den die Staaten mit schuldenfinanzierten Konjunktur- und Beschäftigungsprogrammen („deficit spending“) ausglichen.
Doch in den Euro-Krisenländern fehlt es nicht an Nachfrage, es gibt sogar zuviel. Es fehlt an dem dazugehörigen Angebots- und Produktionspotential. Diese Länder importieren es und bezahlen „per Anschreiben“: mit Schulden, solange sie bei der EZB Kredit haben, und mit „importierter Inflation“. In Deutschland ist es total anders. Hier ist keine „Überflutung“ mit billigen EZB-Krediten zur Schließung von Löchern in der Leistungsbilanz und den Staatshaushalten gefragt.
Weder Zahlungsbilanz-Hilfen à la IWF noch die der EZB und ihren Organen verbotene „monetäre Staatsfinanzierung“ wird benötigt. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann weist oft genug darauf hin. Für Deutschland ist die Euro-Rettungspolitik überflüssig und kontraproduktiv. Es braucht weder Budget-Hilfen von EFSF oder ESM noch Defacto-Null-Zinsen zur Sicherung von Konjunktur und Beschäftigung – und erst recht keinen abgewerteten Euro, um die Exporte zu Lasten seiner Sparer zu subventionieren. Deutschland zahlt mit seiner Zugehörigkeit zum Euro-Verbund und der Euro-Rettung einen hohen Preis.
Sozialdividende durch Währungsaufwertung
Weizsäckers Euro-Rettungsargument, daß eine Aufwertung (oder richtiger die Wiederherstellung eines realistischen Wechselkurses) einen volkswirtschaftlichen Schaden verursache, wird auch nicht durch die Berufung auf Keynes belegt. Im Gegenteil: Der damit verbundene „terms of trade“-Effekt verbilligter Importe verbessert nicht nur die Wettbewerbsstrukturen einer bis zu 40 Prozent vom Rohstoff- und Vorleistungsimport abhängigen Exportwirtschaft. Der gesamtwirtschaftliche „Realeinkommenseffekt“ schlägt noch stärker zu Buche: Gelingt es, dank der Importpreisbremse die Inflationsrare bei Null oder darunter zu halten, gewinnen Einkommensbezieher (Arbeitnehmer) und Vermögensbesitzer (Sparer) doppelt: an hoher oder sogar steigender Kaufkraft wie dem nominal erzielbaren Lohnzuwachs.
Mit gutem Grund bezeichnete Karl Schiller die Aufwertung der D-Mark als eine von allen arbeitenden Deutschen für alle Deutschen erwirtschaftete „Sozialdividende“. Etwaige Verluste im Exportgeschäft konnten im aufnahmefähigeren Binnenmarkt leicht ausgeglichen werden. Und es war Keynes, der einst auf diesen Effekt hingewiesen hatte. Den Staaten stünden zur Erreichung ihrer beiden Stabilitätsziele (der monetären wie der sozialen) stets beide Strategien offen: es entweder mit der Zins- oder der Wechselkurs-Methode oder ihrer Kombination zu versuchen. Keynes wäre der letzte gewesen, der eine Aufwertung als Schritt in den sozialen Abgrund verteufelt hätte.
Die Euro-Apologeten irren, wenn sie die Bindung Deutschlands an den Euro mit jener des Prometheus an den Felsen vergleichen. Der griechische Titan mußte die Strafe der Götter ertragen, weil er den Menschen die Augen geöffnet und sie frei und unabhängig von ihnen gemacht hatte. Wenn sich Deutschland vom Euro trennt, öffnet es ganz Europa die Augen, wie es sich von den Folgen und Kosten der Euro-Rettung befreit. Den Zorn der Europa-Schamanen wird es leicht ertragen können.
Autor: Prof. Wilhelm Hankel
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